Das Normale
„Es gibt keine Motivation weiterzumachen. Heißt, sich überhaupt zu bemühen. Warum mache ich das Ganze. Ich habe das Gefühl, meine Energie ist zuviel, mir wird von vielen Frauen suggeriert, ich solle bitteschön den Deckel draufhalten, nicht zeigen, was maße ich mich an, wieso meine sie, ihr stünde was Besseres zu? Soll doch den Mund halten und malochen, wie sie alle auch. Voll zufrieden mit sich hässlich und alt werden, auf eigenartige Weise die eigenen Bedürfnisse auf die Tochter und den Sohn projizieren und durch sie leben: die schöne Jacke, die sie vielleicht gerne gehabt hätte, der Tochter überstülpen, die Ambition dem Sohn. Zu Hause und im Job. Bloß nicht aus der Rolle fallen, bloß nicht auffallen. Darum geht es doch. Die Pflicht erfüllen, sich gegenseitig in der Ordentlichkeit und kleinteiligen Perfektion ausstechen. „Das haben sie aber schön gemacht, Frau …“ das war das höchste der Gefühle. Dafür lebten diese Frauen doch! Der heimlich verehrte Oberguru hat ihren bescheidenen Beitrag gewürdigt – vor allen anderen.“ Man verstecke seine verstörende Emotionalität, das war die Quintessenz/das Ergebnis des Austauschs mit der Beraterin, so erschien es Patricia Andersdottir Roth. Sie sei schädlich. Die unverhohlene Unzufriedenheit. Die Beraterin versuchte PAR klarzumachen, dass diese spezielle Emotionalität für die Klientin selber schädlich sei. Aber sie war ja auch nur eine Frau. Sie hatte schon als Teenager versucht, sich auf dem schnellsten Wege freizumachen. Es stimmte ja, sie hatte nicht den Mut gehabt, sich auf direktem Weg bei der Akademie zu bewerben. Sie hatte damals tatsächlich nicht zwischen Kunstlehrer und „echtem Künstler“ unterschieden und war mit ihrem anspruchsvollen Kunstlehrer an der Schule, der viel Wert auf Engagement und technisches Verständnis legte, hoch zufrieden gewesen. Kunst war für sie ganz und gar keine Nebensache gewesen, sie stürzte sich auf alle echten Zeichenkurse und bemühte sich sehr. Sie wünschte aufs inständigste, jeden Tag Kunstunterricht zu haben, und ihre Mutter lieferte ihr auch ein so volles Programm wie möglich. Und sie hatte es auch damals schon geschafft, Aufmerksamkeit zu bekommen – sowohl mit ihren großformatigen Zeichnungen wie auch mit ihrer Malerei. Ein Bild ihres Großvaters zum Thema „Erinnerung und Gegensätze“ durfte dann aber nicht in der Ausstellung im Goethe-Institut in Athen gezeigt werden. Es zeigte ihren Großvater in Militäruniform, 20er-Jahre. Sie war schockiert gewesen, das Bild unter den Sachen ihrer Mutter zu finden. Es zeigte inhaltlich nichts anderes als Gerhard Richters Gemälde von seinem Onkel… von … wie hieß das noch mal? Aber es konnte nicht im Goethe-Institut Athen ausgestellt werden. Ein kleiner Skandal an dieser beschaulichen Begegnungsschule. Man sah sie jetzt etwas genauer an, sprach nicht nur über ihre grün-gespiketen Haare, sondern schaute auch genauer auf ihre rasierten Schläfen, ihre Springerstiefel. War sie …? Man war sich nicht sicher. Man kannte die Symbole der Jugend nicht so genau. War ich wirklich …? Dachte sie irgendwann. So ganz ohne es selber zu wollen oder merken? Ist das in mir drin? Aber ihr Großvater trug auf dem Foto nur die ganz normale Uniform des 100.000-Mann-Heeres. Das Bild las sich aber anders. Und sie, der kleine Möchtegernpunk, hatte zufällig etwas aufgespürt, das so viele der Familien ihrer Freunde in der Fremde als Auslandsdeutsche irgendwo vergraben hatten. Unter der glänzenden diplomatischen Oberfläche, meist waren sie Söhne von Juristen oder selbst Juristen, wo noch viel Uneindeutigkeiten zu klären gewesen wären – mehr als bei ihr, deren unehelicher und versuchsweise im Heim entsorgter Vater sowieso als Emporkömmling behandelt wurde. Aber genau diese gutbürgerliche Truppe hatte keinen Bock darauf, öffentlich, im kollektiven Präsentationsraum, wie subtil auch immer an die eigene individuelle familiäre Zugehörigkeit erinnert zu werden. Es war eine interessante Lektion. Der Lehrer sicherte ihr zu, es sei fantastisch gemalt, das beste überhaupt, aber sie müsse im Bild eindeutiger Position beziehen weil die Betrachter vielleicht etwas hineinlesen würden. Sie wusste damals schon nicht genau, ob das wirklich eine gute Idee im Sinne der Kunst war und wenn, dann wie das bildnerisch überhaupt zu realisieren wäre? Ein eindeutiges Bild? Wieso wurde Richter, Baselitz, Immendorf und sogar Grass spontan ihre politische Unbeflecktheit abgenommen, ihr aber nicht so ganz? Vielleicht war alles falsch, dachte sie. Und folgte ihrer Freundin nach Göttingen, wo sie sich zur vollsten Zufriedenheit ihres Vaters in Sprachwissenschaften einschrieb. Romanistik und Anglistik. Gleichzeitig fehlte bald das Geld, ihre paar gesparten Tausend waren schnell aufgebraucht. Ihr winziges Dachzimmer mit Schräge, in dem sie nur an einer Stelle gerade stehen konnte, kostete nicht besonders viel, und öffentliche Verkehrsmittel brauchte sie auch kaum. Sie begann für McDonald’s zu arbeiten, und wurde gleich auch dafür aus politischen Gründen kritisiert. Noch zu jung und naiv, um gekonnt zu kontern, dachte sie, es sei schon in Ordnung, obwohl sie den Ort an sich relativ ekelhaft fand. Angst hatte sie zu der Zeit nie, aber ein Riesenvertrauen, es schon selbst zu schaffen. Sie brauchte nicht viel, das war das Gefühl. „Ich finde es besser, den Tatsachen ins Gesicht zu schauen, ehrlich zu sein“, sagte Patricia , „Sie haben ein Problem mit mir. Sie sind jung, sie müssen sich glauben machen, dass alles gut ist. Für Sie ist es das wahrscheinlich irgendwie auch, ich schätze sie als bescheiden ein, nicht besonders anspruchsvoll. Eine Arbeit, irgendwann eine Familie, ein bisschen Theaterspielerei, das Sie dann Kunst nennen, und Coaching. Für was denn? Wen wollen Sie eigentlich mit ihrer wenigen Lebenserfahrung coachen? Wie denn?“ Wie solle sie sich denn bitteschön mit ihrem kleinen, langweiligen (Übersetzung: fettwerdenden) Leben abfinden, wo das Große und Andere doch so nah gewesen war? Oder schien? Sie wusste damals noch nicht wie oft das passieren würde. Dass das klare und zunehmend ruhige Leben was sich da vor ihren Augen abzeichnete ihr wie ein unerträgliches Korsett vorkommen würde dem sie immer wieder versuchen würde zu entfliehen. Immer wieder. Sie wusste bis heute nicht, inwiefern sie ihren Weg mit-gestaltete oder ob er vorgeprägt war, vorbestimmt von allen anderen und allem anderen um sie herum. „Mich damit abzufinden, dass ich so eine unbefriedigte Hausfrauenkünstlerin werde, die sich selbst verwirklicht, Yoga macht, und sich in eine dekorative Unschädlichkeit meditiert. Das nennen wenig fantasievolle Menschen dann Glück und Zufriedenheit. Was sie aber eigentlich meinen, ist, diese Frauen stören nicht mehr den ausbeuterischen Status quo und konsumieren feucht und schön. Sie haben sich abgefunden. Ich muss Sie bitten, mir zu helfen, mich abzufinden. Mich einzufügen und abzufinden. Fügen und Finden. Sie hatten ja ein Problem mit meiner Energie“, sagte sie weiter. „Ich weiß nicht – die Verpflichtung, glücklich zu sein? Brauchbare Staatsbürger herzustellen? Ich mache, was Sie sagen, aber Sie müssen mich auch ernst nehmen. Dass Sie die Machtspiele an der Uni kennen, ist mir natürlich klar, dass Sie aber nicht so gut verstehen, wie ich mich da durchzukämpfen versuche, allerdings auch. Ich habe, wie gesagt, diesen Prof. vehement verteidigt. Aber es wird keiner sehen: Die anderen fetten Ärsche müssen sich doch jetzt verstecken, weil sie sonst dastehen, als hätten sie einem der ihren in den Rücken fallen wollen, indem sie nichts sagten. Mich überrascht es nicht, muss ich Ihnen leider auch sagen, dass die Gedenkstätte Buchenwald in direkter Nähe zu Weimar steht, dieser verdammten Hochburg heuchlerischster Deutschheit, die mit dieser ganz bestimmten Form der angeblichen Aufklärung Hand in Hand geht. Ich bin bemüht, hier wegzukommen, dieser Ort ist für meine Arbeit und vor allem für mich persönlich eine Grabstätte, ich bin hier so einsam, kein Mensch interessiert sich für Diskussionen über künstlerische Arbeiten. Ich weiß nicht, ob das besonders ein Problem unter Frauen ist: Irgendwie geht es dauernd um projizierte Befindlichkeiten der Studierenden, der Fakultätsmitglieder. Sehr, sehr selten geht es um das, was wir als Fachpersonen denken. Ich bin inzwischen lieber mit den Männern in unserer Fakultät zusammen. Und – unsere Fakultät wird schrumpfen. Es gibt bei uns keine Stellen. Thüringen geht den Bach runter. Die Kunst wird abgeschafft, und so weiter und so fort, aber das ist auch nur folgerichtig, denn sie hat hier in diesem verschlafenem Nest einfach nicht das Umfeld. Einzig Kunst im öffentlichen Raum hat hier Zukunft. Wir sind da aber auch absolut völlig überlastet. Es dankt uns auch wirklich keiner. Es ist schon mehrmals betont worden, dass alle gleich behandelt werden, egal wie viel mehr der eine Fachbereich leistet. Es geht nur darum, wer am Ende noch dabei ist und diesem ständigen Zermürben standhält.“ Es war klar, sie war sehr unzufrieden und wollte weg. Es war ebenso klar, dass sie inzwischen an ihre Kunst glaubte und nicht mehr zufrieden war mit der widerwilligen Toleranz, die ihr entgegengebracht wurde. Ob das eine gute Entwicklung ist? Die Beraterin machte sich irgendwie Sorgen. Für sie war es sehr schwer, sich das vorzustellen, was ihre Klientin gerade durchmachte, hielt sie sich doch gerne für einen erfolgreichen Teil der neuen, postsozialistischen Gesellschaft, irgendwie pfiffig und vorwärtsdenkend. Sehr erfolgreich, da bereits in sehr jungen Jahren promoviert. Sowieso viel, viel besser als ihre alternde und irgendwie unordentlich unzufriedene Klientin. Aber die war interessant. Sie musste feststellen, diese Persönlichkeit fesselte sie. Sie hatte irgendwie in ihrer Eigenschaft als Psychotherapeutin angebissen, der Coach, der sie aufgrund der besseren Verdienstmöglichkeiten gerade erfolgreich zu sein versuchte, verblasste hingegen etwas. Thüringen war doch wunderbar! Gut, es gab schon Probleme mit den Rechten und Vorsintflutliche gab es hier auch genug. Aber Jena hatte ein sehr starkes antirassistisches Umfeld, und es sind sogar einige internationale Studierende da, die Universität hat sich in den letzten Jahren doch sogar einen Namen gemacht in dem Bereich. Patrizia Andersdottir Roth war bewusst, wie sie rüber kam. Diese frustierte Mittevierzigerin. Ekelhaft. Sie tat alles, um nicht in das wahrlich Unattraktive zu verfallen, aber man musste ehrlich sein, es gab einfach kein Aufhalten mehr. Diese Flecken im Gesicht. Das leichte Doppelkinn. Die strähnigen Haare, die dringend eine Frisur brauchten, nur welche? Was konnte man mit diesem fahlen Aschblond machen, das dann auch irgendwie zum Gesicht passen sollte? Was wollte sie denn eigentlich überhaupt, sie, die langweilige, brave Frau, die gerade wieder begonnen hatte, sich in Berlin umzuschauen...
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AutorLisa Glauer ArchivKategorien |