Wer Spricht? Tonalitäten und kunstkritische Sprecherpositionen
Richard Sennett betont in seinem Text „How I write: Sociology as Literature“ (2008), dass auch Soziologen leserlich schreiben könnten und vor allem sollten, da sie sonst keine Wirkung haben. Er empfiehlt hierfür unter anderem, temporär die Position des Gegenübers einzunehmen, um einer zu großen Einseitigkeit zu entkommen.[1]
„Say the writer wants to bring to life on the page the experience of a capable woman working for an incompetent male boss, the sort of boss who takes three-hour lunches leaving her to deal in the meantime with all the tough problems at the office. The writer will have to probe what „incompetence“ means to the long-suffering worker, that is, to give her a voice. (...) The writer wants to enter into the rounded, distinctive life of another person, which requires giving that person an interpretative voice, struggling to make sense of his or her circumstances.“
In der im Anschluss beschriebenen Situation habe ich mich um eine solche temporäre Annahme, der meinem begehrenden Blick entgegen gesetzten Position, der in Deutschland den öffentlichen Raum durchdringenden üblichen Werbung anzunehmen bemüht, um am sogenannten dominanten, durch Werbung konstruierten „male gaze“[2] teilzunehmen, dessen Bedienung zum high-and-hard Status in der Kunst führen soll.
Eine Strategie, dominante Sichtweisen zu befragen ist die (performative) Überzeichnung. Als Beispiel für eine „Strategie der Überaffirmation oder Überidentifikation“, mittels derer zum Beispiel der angenommene heteronormative „male gaze“ auf den menschlichen, vor allem weiblichen Körper überzeichnet wird, könnten die Arbeiten der in den Neunziger Jahren in den USA prominent gewordenen Maler Lisa Yuskavage und John Currin angesehen werden. Vom New Yorker Kritiker Peter Schjeldahl wird deren Malerei als „auf Ironie verzichtend“ beschrieben, denn Ironie sei nichts als “the nervous signal that, of course, one is smarter than some antique or vulgar material at hand“.
Schjeldahl zitiert den Maler John Currin in der Beschreibung seiner Bilder – „bissige Portraits menopausaler Frauen – Bilder die, in seinen Worten, ‚zwischen Objekt der Begierde und Objekt der Verachtung’ liegen“. (acrid fantasy portraits of menopausal women – images suspended, in his words, „between the object of desire and the object of loathing.“)[3]
Schjeldahl beschreibt Currin als „sincere“, nicht ironisch, wenn er menopausale Frauen als klassisch Abscheu-hervorrufend malt – ein Frauentyp, der in Menninghaus’ kulturgeschichtlicher Analyse „Ekel“ als jener der durchweg Abscheu hervorrufenden „vetula“[4] beschrieben ist, die in der europäischen Kulturgeschichte seit der Antike grundlegend für Ekel steht und damit auch mit Abjektion verwandt ist. Schon Schopenhauer beschrieb die „natürliche“ intensive Abscheu, die diese Figur (bei wem?) hervorruft. Im Sinne Sennets, mich in die Gegenposition zur Erzeugung größerer Spannung einfühlend, wird es mir nun durch eine interpretative Annahme dieser Stimme (Sennet spricht von voice) verständlich, dass Frauen, die nicht – oder nicht mehr – dem einem zustehenden Bild einer jungen fruchtbaren Frau entsprechen, Irritation hervorrufen, da ja in der Gesellschaft dann, wenn sie nicht mehr ihrer Hauptaufgabe der Reproduktion zur Verfügung stehen, ganz anders mit ihnen umgegangen werden muss. Nicht mehr steht in Bezug auf diese Frauen an vorderster Stelle die überlebenswichtige, wenn auch häufig unbewusste Überlegung zur Berechnung der Hüft-Taillen-Relation, die grundlegend die Entscheidung für oder gegen eine Investition der eigenen Gene durch eine mögliche Paarung bestimmt. Unter diesen Umständen ist es völlig nachvollziehbar, dass die Öffentlichkeit, die ja einzig und allein dazu da ist, menschliches Balzverhalten zu ermöglichen, nicht durch unansehliche ältere Frauen gestört werden sollte, die „Wie nämlich die weibliche Ameise, nach der Begattung, die fortan überflüssigen, ja, für das Brutverhältniß gefährlichen Flügel verliert; so meistens, nach einem oder zwei Kindbetten, das Weib seine Schönheit; wahrscheinlich sogar aus dem selben Grunde.” (Schopenhauer). Eindeutig sollten solche Weiblichkeiten, jenseits der Gebärfähigkeit, bestenfalls sich um die Versorgung vor allem von Kindern oder pflegebedürftigen Frauen kümmern; dazu sind sie noch ganz gut zu gebrauchen. Männer werden durch ältere, unansehnliche, menopausale (prä- und post-) Weiblichkeit (wie auch jüngere menstruale, hatten wir ja schon, siehe Judy Chicago, reinventing the wheel, over and over and over and over again. Sigh.) erheblich gestört, und demzufolge sollten pflegebedürftige Männer jeden Alters auf jeden Fall ausschließlich von jungen, ansehnlichen, fruchtbaren Frauen betreut werden. Es ist natürlich höchst bedauerlich, dass diese Figurationen in allen öffentlichen Orten die Konzentration und ästhetische Freude der anderen Menschen stören. Mit Sicherheit ist der widernatürliche Feminismus daran schuld, dass diese hässlichen Frauen sich nicht auf angemessene Weise schämen und verkriechen. Diese Figuren zu ignorieren erfordert eine erhebliche Anstrengung. Glücklicherweise gelingt das den meisten Kunstwissenschaftlern besonders in ihren Schreiben, in denen sie gewöhnlich gekonnt jegliche Referenz auf irgendwelche von Frauen verfasste Arbeiten vermeiden, selbst da wo beschriebene Künstler sich explizit auf Arbeiten weiblicher Künstler beziehen[5]. Currin setzt sich in seinen Arbeiten laut Schjeldahl auf kritisch-ehrliche Weise mit diesen außerordentlich hässlichen Weiblichkeiten auseinander. Yuskavage dagegen bietet die notwendigen Gegenbilder – üppiger, schöner, junger, fruchtbarer und natürlich „postfeministischer“ Weiblichkeit. Auch ihr wird Ehrlichkeit – „sincerity“ – bescheinigt. Auf ehrliche Weise zitiert Courbet’s prächtigstes und berüchtigtstes Bild, Der Ursprung der Welt. Yuskavage zitiert den gleichen Ausschnitt weiblicher Genitalien. Sie positioniert den erfreulich offenen Sichtzugang zur post-feministisch modisch-rasierten jungen flat-rate Vulva in mitten bonbonfarbener Natur, die sie virtuos in Form eines leckeren Farbspiels wirken lässt. Vollkommen Burka-befreit, ermöglicht diese Figuration, bis heute von einigen radikalen Feministinnen als pornografisch ausgegrenzt, endlich die natürliche Aufgabe der Frau auf postfeministische Weise. Postfeminismus hat gezeigt das auch Frauen das machen was sie wollen – wo Frauen ehemals gezwungen wurden das zu wollen was sie einschränkt, wollen sie das im aufgeklärten postfeministischen Zeitalter freiwillig. Dazu ist der möglichst freie Zugang zu ihren hübsch aufgemotzten Genitalien notwendig, denn wie sonst sollen die überlebensnotwenigen Abwägungen zur möglichst gewinnbringenden Investition der eigenen Gene möglichst effizient erfolgen? Wissenschaftliche Studien an namhaften Institutionen, z.B. die von Studie zur natürlichen Selektion, anhand des Hüft-Taillen-Ratios in den USA und den Hazda, zeigt dadurch, dass sie großzügige finanzielle Unterstützung erfährt wie die Reproduktion der Menschheit auf diese Prozesse basiert.[6] So ist es denn dann auch nicht verwunderlich, dass es in Deutschland äquivalente natürliche künstlerische Entwicklungen gibt: ehemals dem westlichen Kapitalismus zugeordnete Weiblichkeitsbilder, die von einigen auf vorsintflutliche Weise sexistisch genannt werden, setzen sich auf natürliche Weise auch in der ehemaligen DDR durch, und – ganz postfeministisch – können auch diese heute die ebenfalls unironischen meisterlich gemalten Bilder zum Beispiel Martin Eders – allerdings mit düsterem „touch“ (siehe Rezension des New Yorker Kritikers Ken Johnson[7]) vorweisen.
Überzeichnung als strategische Überidentifikationsmethode in Schrift und Bild
Strategische Überidentifikation – womit ich im vorherigen Teil experimentiert habe, meint, eine im kulturellen Kontext als wünschenswert dargestellte Verhaltensweise soweit bestätigend zu übertreiben, dass die Wirkung sich in ihr Gegenteil verkehrt. Aggressive Liebenswürdigkeit, zum Beispiel jemanden ständig freundlich nach seiner Befindlichkeit zu fragen, ohne ihm die Gelegenheit zu geben zu antworten, kann den anderen auf sadistische Weise ausschließen. Robert Huber diskutiert diese Strategie mittels dessen „Das System ernster genommen werden soll als es sich selbst nimmt“ - im Sinne von „overidentification as an artistic strategy“ (p. 27) Er schreibt:
In describing the strategies of NSK (Neue Slovenische Kunst): the NSK developed a strategy to oppose the Yugoslavian regime not by rejecting its failed ideology, quite the opposite, by identifying with it more than the government did. In this context, the term „overidentification“ stands for a strategy that adapts ideas and oversubscribes them, that takes these ideas to their logical conclusion, in order to reach a breaking point, where the regime exposes itself.[8]
Die Stereotype der Vaguely Eastern European Cleaning Woman Call me Sabiwalsky als überzeichnete Reinigungsfigur
In Reaktion auf die Frage: How to Show, die von Robert Huber und Mirjami Schuppert innerhalb einer Ausstellungsserie zu künstlerischen Arbeiten die im Rahmen von Practice based PhD Programmen entstehen gestellt wurde, habe ich die überzeichnete Figur der „vaguely Eastern European cleaning person“[9] entwickelt, die vor Publikum Bilder aus Muttermilch hervorbügelt. Die Reinigungskraft ist für die Herstellung von Sauberkeit zuständig, indem sie das Wegzuwerfende – hier aus der master narrative – hervorbringt und entsorgt. Dreck ist nicht an sich verwerflich, sondern wird dadurch hergestellt, dass es als sich am falschen Ort befindlich definiert wird. Die Figur der „vaguely Eastern European cleaning person“ ist mit der Figur der Lena aus „Die zweite Frau“, der georgischen Autorin Nino Haratischwili, eine „bitterböse Komödie“ in der eine „andere“ osteuropäische Haushaltshilfe in einem Deutschen Haushalt engagiert wird, um das komplette Leben der Frau des Hauses zu übernehmen, verwandt:
Sie wird von Laura engagiert, um, wie sich herausstellt, deren Nachfolge anzutreten. Laura ist unheilbar krebskrank. Lena soll nicht einfach ihren Platz einnehmen, sondern ihre Stellvertreterin auf Erden werden: ‚Ich hinterlasse dir alle Rechte, mit denen du saufen, vögeln und das Leben nachholen kannst, was er mir genommen hat.’ Er, das ist Gatte Alexander, die vierte, real ab-, gedanklich stets anwesende Person.[10]
Dieses Stück beschreibt eine gegenwärtige Situation: da sich alle einem männlich determinierten Erfolgsmodel zu unterwerfen haben, werden die Positionen, die ehemals weibliche Personen zum Beispiel als „Hausfrau“ oder „Arbeiterin mit Haushaltstag“, übernahmen, an eine „Fremde“ (Frau mit Migrationshintergrund beziehungsweise schlecht abgesicherte, häufig verunsichtbarte Haushaltshilfe[11]) delegiert, und zwar vollständig, denn die der bürgerlischen Kultur zugehörigen Herrin des Hauses oder Hausfrau steht kurz vor dem aus. Sie wurde in der privilegierten westlichen Welt vom neuen bürgerlichen Leitbild „erfolgreiche Mutter“ – abgelöst. Das neue neoliberale weibliche Leitbild ist optisch eher mit der sowjetischen Ingenieurin als mit der sozialistischen Arbeiterin des frühen 20. Jahrhunderts verwandt. Allerdings wird die Sorgearbeit im neoliberalen Model zunehmend zur privat finanzierten Angelegenheit.[12] Diese „erfolgreiche Mutter und Managerin“ pumpt – ebenso erfolgsorientiert – ihre eigene Milch aus ihrem eigenen biologisch effizient und vor allem sauber ernährten Körper ab und lässt sie verfüttern. Sie passt sich dem traditionellen männlich geprägten Erfolgsmodel an, in dem jegliche reproduktive Arbeit - außer der genetischen - an „Andere“ delegiert werden. Hierin bleibt sowohl das Stillen wie auch das Gebären wie sämtliche gewöhnlich familiär erledigte Sorgearbeit (Elternpflege) eine körperliche Belastung, die bestenfalls verunsichtbart und privat finanziert outgesourct wird[13].
Die historische Herkunft der Bildfolgen und der Verlauf der Arbeitsprozesse sind bei dieser Untersuchung demnach genauso wichtig wie das fertig gebügelte, sichtbar gewordene Bild. Vor allem ist auch die unmittelbare Erfahrung der Materialität der Frauenmilch wichtig. Deswegen werden die Bilder vor Publikum und mit ihm interagierend hervorgebügelt. Der starke Geruch verbrannter Muttermilch unterstreicht dabei die Erfahrung der körperlichen Anwesenheit der Betrachtenden beim Vorgang des Sichtbarmachens und unterscheidet sich stark vom Sichten einer dokumentarischen Wiedergabe derselben Performance per Video. Die Tatsache, dass der niedere Geruchssinn (Kant) noch nicht digitalisierbar ist, wird verwendet um die für eine Performance notwendige körperlich erfahrbare Unmittelbarkeit zu unterstreichen.
Statt die „kalten, weißen Gipfel“ erklimmend – in den „warmen Hügeln“ der Projektraumszene grabend
Die Präsentation: “...später baut sie Atomschiffe” fand 2013 im unabhängigen Projektraum OKK (Organ Kritischer Kunst, http://kritische-kunst.org/) statt. Die Aktion passte formal und inhaltlich in das Profil des off-off-space in der Prinzenallee 29 in Berlin-Wedding. Im Experimentierfeld alternativer Projekträume, konnten performative Aspekte sowohl der Ausstellung als auch der künstlerischen Forschungsarbeit vor Publikum getestet werden. Es wurde eine 10 Meter lange und ein Meter breite Papierrolle mit Kriegsgeräten und technischen Darstellungen atomarer Anlagen bemalt, und zur Eröffnung vor Publikum gebügelt, so dass sie Milch dunkelbraun bis schwarz verbrannte und die Zeichnungen sichtbar vor dem weißen Papierhintergrund hervortraten.
Berlin, Februar 2013
Es wäre natürlich vollkommen vermessen, zu implizieren, wir hätten im Rahmen dieser Ausstellung („...später baut sie Atomschiffe“) annähernd auf dem Niveau von Linda Benglis und Robert Morris[14] mit der Öffentlichkeit gespielt. Dennoch inspirierte diese historische und viel bewunderte Aktion, eine als Gruppenarbeit von Tatjana Fell, Pablo Hermann, Robert Huber und mir zusammen geplante Intervention zur Übergabe des Preises für Projekträume, der den Anfang einer Tour durch alle Projekträume markierte, die Bügelaktion durchzuführen. Der Künstler und nun Kurator Robert Huber würde mit seiner vier Monate alten Tochter, die er als primary caretaker versorgt, in der Babytrage die in gespendeter Muttermilch von mir gemalten Bilder von Kriegsgeräten bügeln. Er hatte ausdrücklich um Erlaubnis gebeten, auf diese Weise Teil der Arbeit werden zu dürfen, und dafür auch den typischen altmodischen Hausfrauenkittel tragen zu dürfen. Das hin und her zwischen Rollenspiel und gelebter Realität wurde von Allen dabei offensichtlich und bewusst eingesetzt. Damit konnte vermieden werden, wie die Vertreter der meisten anderen der 7 ausgezeichneten Projekträume, sich im vermeintlich dem Anlass entsprechendem Anzug mit Krawatte und deren weibliche Derivate zu präsentieren. Im Kunstkontext kann das überschreiten traditionellen Rollenverhaltens und Codes in Richtung meist weichere (weniger gut bezahlte) reproduktive Arbeit und Künste für Arbeiten von Männern gewinnbringend – es erscheint ungewöhnlich und ist daher besonders sichtbar – eingesetzt werden, von Frauen aber nicht auf die gleiche Weise. Anders gesagt, Männer gaben in diesem Kontext schon immer die besseren, da sichtbareren (Putz)frauen[15]. Warum nicht versuchen, diese Begebenheit hier auszutesten und gegebenenfalls für uns spielen zu lassen?
Das klitzelkleine Insiderspielchen (joke) mit den Medien ging auf: alle Berichte der Berliner Tageszeitungen - beschrieben nebst dem Berliner Kultursenator Schmitz den namenslosen „Mann, der da im Kittel duftende Muttermilchbilder bügelt“ und betitelten die Arbeit als „ungewöhnlich“. Wir haben es mit dieser simplen Aktion geschafft, diese Arbeit in Verbindung mit der Preisverleihung für Projekträume, an prominenter Stelle VOR den mehr oder weniger einheitlich bemüht und effektiv selbst-diszipliniert „professionell“ Auftretenden, genannt zu werden. So platt, so einfach, so bezeichnend für alle die meinen, im akademischen Umfeld „post-gender“ zu deklarieren würde automatisch und überall zum „post-sexistischen“ Zeitalter führen: Die Stereotype „Haus/Putzfrau“, verkörpert von einem Mann, der die Rolle offensichtlich sehr genießt, zieht zumindest in der Berliner Tagesspresse immer (noch).
Die kleine Intervention weist auch auf eine Realität der Projektraumbetreibenden hin, die sich hinter der hier zur Schau gestellten „Professionalität“ verbirgt, die eine häufig völlige Ent-grenzung von Arbeit und Privatsphäre in Kauf nehmen, um vieles zu ermöglichen. Es geht aber auch um die gespürte Notwendigkeit einer totalen Verfügbarkeit die mit einem kompletten, rücksichtslosen und ausschließlichen „in der künstlerischen Arbeit Aufgehen“ einhergeht welches traditionell von „erfolgreichen“ Künstlern gefordert wurde, und gerade dann wenn Künstler zum „kreativen“ Leitbild für Organisationstätigkeiten oder andere Tätigkeiten werden, sich zunehmend auch in anderen Arbeitsumfeldern etabliert.
Ausstellung im OKK als Antwort auf: How to Show?
Off-Szene und PROJEKTRÄUME – Deren Bedeutung(slosigkeit?) wird in Berlin (ab)erkannt
Die Entwicklung einer Anerkennung der häufig ehrenamtlich arbeitenden Projekträume durch die Auszeichnung künstlerischer Projekträume und -initiativen im Bereich Bildende Kunst der Berliner Kulturverwaltung, die mit dem verschwindend geringen Gesamtbetrag von 210.000 EUR, zu verteilen auf 7 ausgewählte Projekträume (2013 zum ersten mal übergeben), markiert möglicherweise ein längst überfälliges Umdenken bezüglich der Kulturförderpolitik in Berlin[16]. Bislang wurde, stark vereinfacht ausgedrückt, „Flaggschiffpolitik“ betrieben, zu sehen zum Beispiel an der Diskussion um Sasha Waltz und deren Tanztheater, das, wie sie selber erklärt, nicht nur durch die ihm zugewiesen Gelder unterfinanziert ist, sondern sie als Leiterin des Theaters findet es problematisch, dass Tanztheater, als eine etablierte Institution, Gelder abschöpft, die eigentlich für die Freie Szene bestimmt sind, und somit dieser entgehen[17]. In der Jury für die erste Preisverleihung waren Tatjana Fell, Künstlerin und Kuratorin, (die selbst zusammen mit mir, den unabhängigen Projektraum www.arttransponder.net 5 Jahre lang leitete), Stephane Bauer, Leiter des Kunsthauses Bethanien, sowie der Berliner Kulturstaatssekretär Andre Schmitz (SPD), der sehr offensichtlich ganz neu bei der Sache war, und sich sehr „neugierig“ in Bezug auf die Zusammenarbeit mit der alternativen Kunstszene zeigte. Tatjana Fell begann kurz nach der Finanzkrise Projekträume miteinander zu vernetzen: sie gründete Chances of Crisis, ( http://www.arttransponder.net/472.0.html?&L=1) und anschließend mehrere weitere Netzwerke. Deren und anderer unermüdliche Arbeit brachte die Situation der Projekträume und was sie für die als alternativ, experimentell, und wegweisend bekannte Kunstszene bedeutet, mit in die Aufmerksamkeit der Berliner Kulturpolitik. Diese erfreulichen, wenn auch noch viel zu spärlich ausfallenden Entwicklungen, sind das Ergebniss langwieriger, breit angelegter „grass roots“ Kulturpolitik, die vielen strenger nach oben Orientierten als eher unglamourös, sogar irrelevant erscheinen kann. So auch bislang der Berliner Kulturpolitik, die lieber Olafur Eliasson – genannt „Der Sonnengott“[18], eine Million Euro zusätzlich zum vollen Professorengehalt für den Ausbau seines privaten Instituts zusicherte, damit er sich herablassen würde, 15 von ihm handverlesene Studierende der UdK dort zu unterrichten, anstatt zum Beispiel 20 Projekträumen fünf Jahre lang das gesamte Jahresbudget zu stellen – obwohl das (gesellschaftlich) sehr viel mehr bewirken würde.[19] Diese alternative Szene wird von anderer Seite, so zum Beispiel von Wahjudi, eine der Haupt(stadt)-Kommentatorinnen der Berliner Kunstszene, als den „Humus der Kunst“ bezeichnet -notwendig also, um das Image Berlins als „experimentell, hip, cool, wegweisend“, am Leben zu halten, und mit Neuem zu speisen. Es geht hier nicht um Markt oder Anti-Markt -obwohl die Diskussion häufig so geführt wird, es geht um Politik und Strukturen die den freien Austausch bis hin zum kleinen Markt, und das freie Arbeiten hierin ermöglichen. Dazu gehört eine Förderung in der Breite, eine Förderung an der Basis, so dass auch das häufig spektakuläre Scheitern von künstlerischen Experimenten mitgedacht und möglich gemacht wird, da nur unter diesen Umständen künstlerisch genügend riskiert und Neues entwickelt werden kann.
Wahrscheinlicher ist es allerdings, dass dieser alternative Bereich der „Berliner Projekträume“, der sich aufgrund verschieden zusammenwirkender Aspekte der Stadt gebildet hat, nicht nur im Zuge der Gentrifizierung und der dazugehörigen sehr emotional geführten Diskussion, zunehmend ausgehöhlt wird. Dave Hickey, der bis in die 1990er Jahre die Kunstszene der USA durch seine Sehnsucht nach Entdeckungen geleitet beschrieb, den es als Freiberufler und Verteidiger des (inzwischen als kleinen anzusehenden) Kunstmarkts in die weitverzweigten Räume der alternativen Kunstszene trieb, bis der Rückbau der sozialen Strukturen in den USA (1987, unter Reagan) dazu führte, dass Hickey nicht mehr als Freiberufler gesundheitsversichert sein konnte. Das brachte ihn dazu, eine Professur an einer Kunstakademie anzunehmen, obwohl er zeit seines Lebens immer gegen die übertriebene Akademisierung der Kunst wetterte und passioniert für das Populäre, das Alternative, den kleinen! freien Kunstmarktaustausch (er meint damit NICHT die großen, monopolisierenden Messen usw.) plädierte. Sein meinungsgetriebenes Schreiben, -wobei alternative Kunstprojekte, Entdeckungen überzeugend und lustvoll beschrieben werden, wo low art und high art einander gegenüber gestellt und miteinander verknüpft wird, erscheint mir heute lesenswerter denn je. Leider scheint (krisengetriebene) Furcht um Statusverlust, um Abgrenzungen nach unten hin immer stärker hervorzutreten, während spannende, subjektive, und individuelle Bewertungen ohne institutionelle Absicherung immer weniger beachtet werden. (Daraus entsteht auch das Zugehörigkeit signalisierende vielfach parodierte artspeak, so zum Beispiel im Text „International Art Speak“, von Rule/Levine[20].) Sloterdijk schreibt in einem witzigen journalistischen Artikel zu Karl-Theodor zu Guttenberg, dass Texte zu selten tatsächlich gelesen werden[21]: Stattdessen unterwirft man sich zunehmend dem mainstream, dem möglichst akademisch klingenden Zugehörigkeitsdiktat. Im kurzen Sketch „My Weimar“ beschreibt Hickey auf amüsante und eindringliche Weise diese für die inhaltliche Arbeit fatale Unterwerfung unter die Deutungshoheit mittels der Figur eines total angepissten, aus der Weimarer Republik in die USA emigrierten jüdischen „Deutschen Profs“., der sich nun dem US-amerikanischen mainstream der akademischen Szene widersetzt. In diesem Sketch bezeichnet der Professor den institutionellen mainstream sarkastisch als einen der von sogenannten „aryan muscle boys“ verteidigt werde: Männer die aus dem zweiten Weltkrieg von Deutschland in die USA zurückkehrten und dort vorfanden, das die Kunstwelt nun in den Händen der ehemals ausgeschlossenen Betreieben lag, und als “aryan muscle boys” ihre Macht wieder haben wollten. Er sagt: “They do not want to make the new art world. They want to turn back the clock. You should not let them do it!” Der damals junge Student Hickey war begeistert. An die Stelle von Austausch und Diskussion um die Sache treten nun Autoritätsglauben und Machtspiele, qualifizierte, interessant geschriebene und individuelle Meinungen um die „Sache Kultur“ erscheinen zunehmend irrelevant, warnt der alte Deutsche Prof, aber es lohne sich, und sei dringend notwendig, diese individuellen, konträren Meinungen und Positionen zu verteidigen[22]. Sonst, so impliziert er, übernehmen wieder dieselben “aryan muscle boys” (seine Worte) die absolute Deutungshoheit. Nur in dieser Hinsicht erinnert mich der Text von Sloterdijk an den von Hickey. Der Guttenberg-Skandal ist in einem solchen Umfeld, wie Sloterdijk ganz treffend beschreibt, kein Zufall, wie auch der näher am Thema liegende Skandal des inzwischen ehemaligen Kulturstaatssekretärs Schmitz zeigt. Schmitz, als staatlicher Vertreter der City-Tax-Fraktion, die von vielen Ehrenamtlichen und am Existenzminimum arbeitenden Menschen geleistet wird, hinterzog wiederum in hohem Maße Steuern. Viel gekostet hat ihn dieser Fehltritt, als „private Verfehlung“ und Kavaliersdelikt von seiten der Regierung inoffiziell geduldet, nicht. Hickey hatte damals die Konsequenzen gezogen, hatte Abschied von seinen “graduate studies“ genommen und war in das unordentliche, chaotische und unklare Feld der Freiberuflichkeit, manchmal als “letzter freier kapitalistischer Markt” missverstanden, gezogen – denn die Freiberuflichkeit wird nur durch ein verträgliches soziales Netzwerk möglich. Als dieses Netzwerk sozialer Absicherung in den USA sukzessive abgeschafft wurde, ging Hickey etwas widerwillig als Lehrender zurück an die Akademie. Auch in Berlin gäbe es ohne KSK, Quartiersmanagement und Projektförderungen etc. keine solche lebendige alternative Szene, die aus meiner Sicht für ein sich weiterentwickelndes, stimulierendes Umfeld überlebensnotwendig ist, - „trafficking in nothing but joy“ (Hickey).
Feedback Looping
Bezogen auf die letzte Ausstellung meiner Muttermilcharbeiten wurde mir von einem Vertreter der neuen online-Kunstzeitschrift “art-parasites”, die sich explizit an eine „junge“ Leserschaft richtet, gesagt, dass meine performative Arbeit mit Frauenmilch, besonders auch im Aufgreifen des Mythoskonstruktion zu Lenin mittels Milch als unsichtbarer Tinte, gelungen sei, und ob ich zu einem Interview bereit wäre. Nach einem ausführlichen Interview bekam ich von Seiten der Redaktion eine Email in der stand, man fände die Arbeit weiterhin sehr interessant, allerdings wäre in der Redaktion befunden worden, dass die Fotos nicht gut seien. Ich wurde gefragt wie ich es finden würde wenn die Zeitschrift ein junges topless-Model neben meine künstlerischen Arbeiten stellen würde, um die Leserschaft zu erhöhen, denn erfahrungsgemäß erhöht das platzieren von halbnackten, den gängigen Schönheitsidealen entsprechenden Frauen die Klicks auf den Links zu den Texten. Sehr freundlich und respektvoll wurde mir von einem jungen hoffnungsvollen Mann angeboten das volle Fotoshooting, inklusive der Modellkosten zu übernehmen, sozusagen als kostenlose Werbung für meine Arbeit. Es handele sich ja um Frauenmilch, das heißt, es geht um die weibliche Brust, „ -das würde doch passen“.
Hi Lisa,
I have somewhat unfortunate news: our editor in chief is not happy with the images we took during our visit/interview. The concept & medium of your current body of work is very intriguing, both for me and for the rest of the team, yet we‘ve increasingly placed a high priority on our top visual, as it has proven to be an important factor that determines whether our readers click on the article or not.
There‘s been times when we‘ve even had to discard stories due to unsatisfying visuals and a lack of alternatives. However, we do not want to discard your story so we‘ve come up with an alternative:
In the past, Berlin Art Parasites has made use of nudity in order to attract readership, build on the content of the article, and develop our stamp as a non-standard art magazine.
I‘ve proposed the deployment of a female nude model in order to bring your story into the spotlight. In this case, I feel it works at a meta level with the mythology that you‘ve been engaging with–where a female vessel has been a key element in the dissemination/longevity of a male entity (Lenin‘s wife and Pero‘s daughter). The twist, in this case, is that even though a nude female is acting as a vessel to bring forth the words of this male writer, it is the story of a female which I want to bring forth.
All I‘m asking at this point is your permission for the use of a nude female model in the cover of your story. And I ask because we understand how controversial the nude body can sometimes be. I can assure you that, when writing my stories that include a nude, I‘ve always been careful to maintain the integrity of the artwork, the artist and my very own. If you care to see, here are two examples of stories in which I‘ve made use of a nude body: The Fear Of Revealing Too Much & Bearing It All.
Let me know if this idea is acceptable to you – I wouldn‘t want to jeopardize your concept/integrity.
All the best, ...
Antwort:
Hello ...,
The photos, particularly of me, are really are not that good, it is true - the work needs to be photographed differently, also, the work is not easy to photograph. Juan Pablo Diaz of okk has some better ones. But I am happy to go along with what you suggest.
However - I imagine that the scene with Simon and Pero might be visually particularly interesting - this would preferably include a male model in chains next to the female nude. As you can see in some of the images, the male is an attractive, well built figure. Robert, the curator, told me he could send some images of himself nude, but I trust you to have sources more adequate to what you have in mind.
It might even expand your readership.
Attaching the historical sources I particularly like (Sebald, Caritas Romana):
A re-staging of this scene, or better, because of the possible sensitivity, a quoting. (Of course, in keeping with the standards of your publication, the scene might be modified somewhat, the breast need not actually be in contact with the male model.) Considering the attractiveness of mild S&M to many people, that might really work for you - give it some added depth, and bring it up to date (female gaze, etc.).
Would that be possible?
I would really love that and could see myself contributing a bit for the model fee, if needed!
Best, Lisa
Der Interviewer zeigte sich von meiner Antwort begeistert (natürlich), und er wollte am liebsten sofort loslegen. Die Redaktion wollte aber dann doch nicht mehr. Nach einigem hin und her erzählte der Redakteur zum Schluss, als auch die Projektraumbetreiber Pablo Hermann und Juan Pablo Diaz sich eingeschaltet hatten und ihn darauf hinwiesen das OKK sich unter anderem ANTI-sexistischen Themen widmet, dass wir zwar nicht zensieren können oder wollen, wenn er unbedingt ein topless-Model als „stand in“ für die Künstlerin Lisa Glauer zu seinem Text über ihre Arbeit drucken will, OKK (oder wir) aber keinesfalls auf „kostenlose Werbung“ angewiesen seien. Er antwortete, dass er das selber peinlich findet, aber als Praktikant müsse er eben das machen was man ihm sage. Da wäre es schön gewesen, in Erfahrung zu bringen, was er denn schrieb, wenn er nicht gerade als Praktikant den Vorgaben seiner Chefs folgte. Ob er denn einen Blog habe. Leider fand er die Frage herablassend.[23]
Seitdem ich mit Milch im Kunstkontext arbeite und dazu recherchiere sammele ich auch abstruse und komische Reaktionen und Kommentare auf meine Arbeit. Offenbar stiftet Frauenmilch im Kunstkontext und dessen erweitertes Umfeld temporäre, harmlose Verwirrungen in den Überbleibseln der ordentlichen und traditionellen eurozentrischen Dichotomie Material/passiv/natürlich/weiblich/privat/reproduktiv und Bild/intellektuell/aktiv/kulturell/industriell/männlich/öffentlich/produktiv. Durchkreuzt wird das Ganze von Annahmen über Gegensätze zwischen Mütterlichkeit und Kreativität. Derzeit stehen Bilder junger, weiblicher Körperlichkeiten im öffentlichen Raum von GNTM bis zu FEMEN von Cairo nach Moskau, Tunesien und dem Rest von Europa bis hin zu den in Canada initiierten Slutwalks im Brennpunkt der Medien. Dabei geht es immer wieder um weibliche Körperlichkeit – Postfeminismus hin oder her – und welcher weibliche Körper von wem wie, wann und wo gezeigt werden darf. Diese von mir durchgeführten künstlerischen und historischen Untersuchungen zu Reaktionen auf die Milcharbeiten sind durch und durch von dem sich wandelnden Umfeld weiblicher Körperlichkeit im öffentlichen Raum geprägt, das sich ständig auf neue Weise „einwurzeln“ muss. Sich abzuschotten und in einen vermeintlich bereits existierenden post-sexistischen, post-feministischen und post-rassistischen Raum zu begeben, sobald von diesen Partikularitäten die Rede ist, ohne sich diesbezüglich explizit zu positionieren, folgt dem selben Muster wie das derjenigen, die sich ehemals aus dem Leben in den vermeintlich a-politischen hoch distinguierten white cube verabschiedeten, indem sie sich ein unerreichbares Ideal als cold white peak konstruierten. In dessen Nähe stellen sie sich selbst gedanklich als immer schon dort besser hinpassend, ein ganzes Stückchen weiter oben auf.
[1] How I write: Sociology as Literature“ Gerda Henkel Prize 2008. S. 67.
[2] John Berger, Ways of Seeing, 1972, Laura Mulvey, Visual Pleasure and Narrative Cinema, 1975, Gaylyn Studlar, Visual Pleasure and the Masochistic Aesthetic, 1985
[3] Peter Schjeldahl, Irresistible. John Currin at the Whitney. In: The New Yorker, Dec. 15, 2003. Der Kritiker beschreibt und wiederholt damit die „politisch unkorrekten“ (reaktionären) Bilder.
[4] Menninghaus, Ekel, Theorie und Geschichte einer starken Empfindung: (s.132) „Fast alle Defekte des Ekel-Diskurses von den Schlegels (J.E. und J.A.) über Mendelsohn, Lessing und Herder bis Kant schießen regelmäßig in eine einzigen Phantasma zusammen: Dem Bild der hässlichen Alten. Dieses Bild vereint Falten, Runzeln, Warzen, größere Öffnungen des Mundes und des Unterleibs, eingefallene „Höhlungen“ statt schöner Schwellungen, üblen Geruch, ekle Praktiken und Nähe zu Tod und verwesendem Leichnam.“ Und aus einer Rezension zu dem Buch: „Da du doch schwarze Zähne hast, mit Runzeln hohes / Alter dir die Stirne furcht und weitauf klafft so scheußlich zwischen dürren Backen / der Hintern wie bei einer magren Kuh! Doch es erregt vielleicht der Busen mich? Die Brüste welk / wie Stuteneuter! Der schlaffe Bauch, die Schenkel, strotzenden / Waden dürre angefügt? Ausdrücklich vermerkt Horaz in dieser selten erwähnten übersetzten Epode, welche Empfindung er mit ihr illustrieren wollte: den “Ekel”. Zu dem vom Dichter aufgerufenen Topos der sogenannten “vetula” - der alten Frau als Inbegriff des Ekels - gehört ferner ein “übler Geruch”, vor allem aber ein unersättlicher sexueller Appetit auf junge Männer. Auf das vermeintlich unzweideutige Ansinnen der “vetula” reagiert das lyrische Ich bei Horaz deshalb mit einer kaum zu überbietenden Geringschätzung: “Damit du ihn mir hochholst von den stolzen Hoden”, heißt es da, “mußt mit dem Munde du dich mühn!” Ist aber der Mund nicht eben noch als besonders widerlich bezeichnet worden? Ob hier, wie es scheint, die geheimen Wünsche des Mannes auf die Frau projiziert werden oder nicht: Offenbar geht gerade von dem als ekelhaft Verworfenen eine starke sexuelle Anziehungskraft aus. Oder in psychoanalytischer Terminologie ausgedrückt: in den Abwehrbildungen kehrt das Abgewehrte wieder.“ Geret Luhr, Der Ekel in der Kultur. Winfried Menninghaus’ differenzierte Geschichte einer starken Kultur. In: Literaturkritik.de, 07.1999.
[5] Kaprow und Acconci beziehen sich zum Beispiel immer wieder explizit auf feministische Kunst, werden jedoch von wem? als a-politisch beschrieben. Ihre Arbeit wird vom Einfluss feministischer Kunst im Verlauf der kunsthistorischen Wiedererzählung zunehmend „bereinigt“.
[6] Frank Marlowe, Coren Apicella, Dorian Reed, Men’s preferences für women’s profile waist-to-hip ratio in two societies. In: Evolution and Human Behavior, 09.2005. „Women’s waist-to-hip ratio (WHR) varies with age, and a lower WHR is associated with a higher estrogen-to-androgen ratio and possibly higher fecundity, at least in some populations. Consequently, it has been argued that selection has favored a universal male preference for a low female WHR. In previous studies using frontal pictures, men in the United States preferred a low WHR of 0.7, but men among Hadza hunter–gatherers and a few other small-scale societies preferred higher ratios. Unlike the actual WHR of women, measured with a tape around the waist and the hips and buttocks, the WHR in frontal pictures excludes the buttocks. Because frontal WHR gives only a partial picture, we used profile views of women to measure men’s preferences for the profile WHR. Hadza men preferred a lower profile WHR (more protruding buttocks) than American men. Since Hadza men preferred higher frontal WHR but lower profile WHR, and since both contribute to the actual WHR, these results imply there is less disparity between American and Hadza preferences for the actual WHR of real women. We suggest men’s preferences vary with the geographic variation in the shape of women who have wider hips in some populations and more protruding buttocks in others.“ An diesem wissenschaftlichen Zitat ist zu erkennen, was schief gehen kann, wenn der anthropologische Blick auf die eigene Kultur angewandt wird: Da wo es nicht weiter geht, sucht man sich irgendein passendes Beispiel aus irgendeiner eher als weniger modern angesehenen, (und damit implizit natürlicheren) menschlichen Kultur und nutzt Werte die dort gemessen werden um so etwas wie eine politisch motivierte Objektivität (Wahrheit) in der eigenen Kultur durch zu setzen. Das traditionelle bürgerlich- heteronormative politische Anliegen ist hier überdeutlich: Menschliches Zusammenleben dient ausschließlich der Vermehrung im traditionellen Familienrahmen. Ob sie nun Lust darauf haben oder nicht, präferieren „die Männer“ eine bestimmte weibliche Figur, und zwar je nach geografischen Bedingungen leicht abweichend, die sie ständig schwängern wollen. "Die Männer" wollen demnach ständig so viele Frauen schwängern wie sie können. Das nicht zu wollen ist nach dieser Logik unnatürlich. Sex zum Spass wird damot höchst wissenschaftlich abgeschafft, Homosexualität ist in diesem Schema vollkommen unerklärlich. Ich hoffe sehr, das wird „den Männern“ deutlich mitgeteilt – zum Beispiel, ganz kreativ, mittels Werbung? Sonst könnte es passieren, dass sie ganz versehentlich Zeit mit Frauen und Männern verbringen mit denen sie tatsächlich zum Beispiel ein interessantes Gespräch führen können.
[7] „Mr. Eder‘s scenarios have a nightmarish feeling, which enhances their projection of a frighteningly ungrounded, disproportionate state of yearning that is the not-so-secret engine of capitalist consumerism.The problem with Mr. Eder‘s work is not that it flirts with sexism but that it is calculating, obvious and preachy. He is not exploring and discovering his more or less subconscious fears and desires so much as illustrating sociological concepts that he knows all too well. Still, the confluence of Freud and Marx is interesting, and so is the tantalizing perversity, which you‘d like to see pushed further into unknown territories.“ Ken Johnson, Art in Review: Martin Eder. In_ New York Times, June 16, 2006.
[8] Robert Hubers bezieht sich auf Slavoj Zizek, „Why are Laibach and the Neue Slowenische Kunst not Fascists“ in, The universal exception selected writings , london 2006, p. 63. Siehe auch http://stlj.livejournal.com/21389.html?thread=85389
[9] Johannes Pennekamp, Haushaltshilfen aus Osteuropa. Geschäfte in der Grauzone. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.06.2006
[10] Michael Helbing, „Die zweite Frau“ erhielt viel Beifall im Nationaltheater Weimar. In: Thüringer Allgemeine, 27.01.2012.
[11] Andererseits entsteht diese ambivalente Figur der „cleaning Person“ aus meiner individuellen, familiären Geschichte: Mein leiblicher deutscher Großvater, bis vor kurzem namentlich unbekannt – und somit real ab-, gedanklich stets anwesend, hieß mit Nachnamen Sabiwalsky. Mein Vater, 1934 in Liegnitz (Legnica, Polen) „unehelich“ in die aufstrebende Schuhmachermeister Familie Scholz geboren, wurde nach der Geburt in ein Heim gegeben. Einige Jahre später in die mütterliche Familie unter dem Namen Glauer – seine Mutter hatte inzwischen geheiratet – integriert, ohne ihn zu adoptieren. Er immigrierte 1954 über Leipzig nach Bremen. Dort verpflichtete er sich als Soldat für 12 Jahre in der Marine, was ihm wiederum ermöglichte auf dem zweiten Bildungsweg Fachabitur nach zu holen und dann eine Ausbildung im bundesrepublikanischen Auswärtigen Amt zu beginnen. Es hätte nicht viel gebraucht und ich hätte möglicherweise vor ein paar Jahren, wie viele andere migrierende Osteuropäerinnen nach der Wende die Gelegenheit als „Vaguely Eastern European Cleaning Person“ in Deutschland zu arbeiten als ökonomisch sinnvoll erachtet, womöglich sogar mit in Deutschland nicht anerkannter Ingenieursausbildung.
[12] Deutschland tut sich schwer, adäquate öffentliche Einrichtungen für die Betreuung der Kinder auszubauen.
[13] Es wird Müttern geraten, niemals im professionellen Umfeld über ihre Familienarbeit zu reden, damit sie nicht als Mütter diskriminiert werden. In einem Interview: Kinder als Defizite, die erstmal aus dem Weg geräumt werden müssen.
[15] siehe zum Beispiel: Strategien des ‚Zu Sehen Gebens’: Geschlechterpositionen in Kunst und Kunstgeschichte. In: Genus. Geschlechterforschung/Gender Studies in den Kultur und Sozialwissenschaften. Stuttgart, 2005.
[19] Ähnliche Politiken der Förderung unsinniger Vorzeigeprojekte führen anderswo regelmäßig zu finanziellen Katastrophen: so ist Beispielsweise Bonn komplett pleite da die Stadt zu viel in ein Kongresszentrum investiert hat, das keiner braucht. MARTA Herford, schwer erreichbar mitten in der Provinz als „UFO“ stehend, ist ein weiteres sehr teueres Problem was zudem nicht gesehen wird: respektable Kunstvermittler beklagen das fehlende Publikum. Auf die Frage, ob denn die Menschen die in Herford leben Interesse entwickeln sollten, machte die Institution in Gesprächen mit Ausstellern überdeutlich, dass dies auf keinen Fall die Menschen sind, die man sich als Publikum wünscht. Die Haltung kennt man auch aus Weimar: die Millionen Touristen, die jährlich durch die Stadt strömen, werden als überhaupt nicht adäquates Publikum für Ausstellungen angesehen. (Sie bekommen nur die „leicht verdaulichen“, erprobten Kunst- und Kulturangebote präsentiert.) Im künstlerischen Hochschulkontext ist es üblich, namhaften Künstlern volle Professuren zu gewähren, mit der Zusatzversicherung seitens der Hochschule, ihre normale künstlerische Tätigkeit, die bis dahin ihre Vollzeittätigkeit war, weiter ungehindert im vollen Umfang ausüben zu können.
[22] „My sculpture professor, Mr. Olivadetti, who reminded us about once a week that ‚an artist – a real artist – is not a god-damned sissy!’ I found this daunting: as a product of smath-mouth Texas, I was looking forward to a long career of unrepentant sissydom. Thankfully, old Vollbach set things straight, casually dismissing all this heroic posturing as misty bullshit. „These muscle bound winers,“ he said. „they do not want to make the new world. They want their power back. They want to turn back the clock. You should not let them do it.“ David Hickey, My Weimar. In: Air Guitar. Essays on Art and Democracy, Los Angeles, 1997. S. 85.
[23] Mir ist natürlich bewußt das dieser Umgang mit Weiblichkeit im publizistischen Umfeld die Regel ist. Nicht umsonst gibt es immer wieder Protest gegen den körperlichen Konformitäts- und Selbstoptimierungszwang, der Frauen auch noch als Befreiung verkauft wird. In Berlin wehrt frau sich schon mindestens seit Anfang des 20. Jahrhunderts dagegen, siehe Claire Waldoff: „Ick lass mir nicht operier’n wejen Emil seine unanständije Lust …“ usw.